Der Professor

Prof. Dr. Martin Gertler 1Der Hochschullehrer und Medienproduzent Prof. Dr. Martin Gertler lehrt an der Rheinischen Fachhochschule Köln und an der Graduate School der University of Humanistic Studies in Utrecht. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich u. a. bei der DAHW (Deutsche Lepra- und Tuberkulose-Hilfe e. V.). Prof. Gertler ernährt sich seit fast drei Jahren rein pflanzlich und pflegt seinen eigenen veganen Blog.

Martin, wann und weshalb hast du dich für eine vegane Lebensweise entschieden?

Im März 2012 wurde mir mehr als zuvor bewusst, dass auch mein Leben nicht endlos währt und eine gute Gesundheit wichtig ist. Längst war ich hier und dort auf Impulse für eine rein pflanzliche Ernährung gestoßen, aber wie es nun mal so ist: Einmal »fällt der Groschen«. Intensive Recherchen zeigten schnell, dass die vegane Ernährung offenbar die gesündeste ist, da unsere »Zivilisationskrankheiten« scheinbar mit der zugehörigen Lebensweise aufgekommen sind — also mit der immer stärker mit tierlichen Bestandteilen durchsetzten Ernährung. Der Zusammenhang war klar — die Konsequenz dann auch: Schluss damit, ab jetzt nur noch Pflanzliches. Also: Bei mir lag der Impuls bei der Sorge um die Gesundheit. Die Orientierung auf eine Ethik, die allen Lebewesen eine artgemäße Lebensweise in Freiheit und ohne Ausbeutung zuspricht, somit auch auf Tierrechte, war erst der nächste Schritt.

Beruflich bewegst du dich ja in einem Umfeld, bei dem man im Allgemeinen davon ausgeht, dass die Menschen umfassend informiert und aufgeschlossen sind. Welche Rolle spielen die Themen vegane Lebensweise oder Tierrechte unter deinen KollegInnen?

Diese Vermutung einer umfassenden Information und Aufgeschlossenheit kann ich leider nicht bestätigen — gerade an Hochschulen trifft man ja oft auf »Spezialisten«, die sich in ihre Gebiete vertieft haben und nicht das Ganze sehen, die keine übergreifenden Zusammenhänge herstellen können und wollen. Es ist ja gerade das Wesen der im Westen verbreiteten Art von Wissenschaftlichkeit, dass man sich auf sein Terrain zurückzieht und somit Konflikte vermeidet.

Gehst du offensiv mit deiner Lebensweise um oder »versteckst« du sie eher (privat und beruflich)? Was bedeutet das für dein alltägliches Handeln bzw. worin besteht deine Botschaft?

Offensiv geht gar nicht, weil ich damit an das latente schlechte Gewissen der NichtveganerInnen appellieren und somit Konflikte auslösen würde — auch wenn ich nur Auslöser, nicht aber Ursache wäre: dies ist zu vermeiden. Beruflich spielen die Themen des Veganismus bei mir schon deswegen keine Rolle, da sie halt nicht Gegenstand meiner hochschulischen Fachgebiete sind. Meine Studierenden bekommen natürlich irgendwie mit, wie ich lebe, und dann kommt es gelegentlich zu Gesprächen darüber, aber eben nur sehr am Rande. Eine »Botschaft« will und muss ich nicht vertreten, sondern ich will lieber ganzheitlicher und authentisch leben — und argumentieren. Dazu gehören dann eben auch Themen wie Ethik und Nachhaltigkeit in meinen Lehrgebieten — sprich: das »Framework« liegt mir am Herzen. Veganismus ist Bestandteil dessen, aber nicht alleiniger Inhalt.

Wirst du oft mit dem Vorwurf konfrontiert, es gäbe doch weitaus wichtigere Themen? Wenn ja, wie reagierst du darauf?

Dies wird mir nicht vorgehalten, da ich nicht missionieren gehe, selbst wenn manche Mitmenschen bereits das begeisterte Erzählen von den vielen Vorteilen der veganen Lebensweise — die bei mir selbst sozusagen als Nebenwirkung zum »Abspecken« und einem deutlich besseren Gesundheitsstatus führte — als Missionieren deuten. Nein, Äußerungen im Sinne von »Es gibt Wichtigeres« habe ich nie gehört. Ich vermute, dass es all jenen, mit denen ich so zu tun habe, sowieso klar ist, dass vor allem die aus tierlichen Bestandteilen zusammengesetzten Nahrungsmittel starke Gesundheitsrisiken bedeuten, allein schon durch die höheren Schadstoffbelastungen.

Einer deiner Artikel trägt den Titel »Humanismus und Veganismus«. Und du engagierst dich gegen zwei große »Geißeln« der Menschheit: Lepra und Tuberkulose. Gerade mit Lepra verbindet man ja oft das Bild des »Ausgestoßenen«. Siehst du Parallelen im Verhalten der Menschen untereinander und gegenüber den Tieren? Denkst du, es gibt Gemeinsamkeiten und/oder gar einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Gewalt gegenüber Menschen und anderen Tieren?

Diese Zusammenhänge erschließen sich tatsächlich, wenn man einmal bis zu den »Grundfesten« des Veganismus vorgestoßen ist. Daher sehe ich eine klare Verwandtschaft des veganen Denkens und Handelns mit dem neueren, nicht mehr allein auf den Menschen als »Krone der Schöpfung« ausgerichteten Humanismus. Zu Lepra und Tuberkulose: Die zugehörigen Formulierungen »Aussätzige« und »Ausgestoßene« kennen wir alle aus unseren religiösen Ethiken und sie sind verbunden mit der Aufforderung zur Hilfe, übrigens nicht nur im Christentum, sondern auch z. B. im Islam. Der Humanismus scheint mir demgegenüber weniger auf Mildtätigkeit als vielmehr auf Grundrechte orientiert zu sein, auf die die Menschen Ansprüche haben. So führt ein fortgeschrittenes Reflektieren von vegan lebenden Menschen zu einem Veganismus, der tatsächlich auch das Thema Gewalt ganz grundsätzlich aufgreift und es allen fühlenden Lebewesen gegenüber als ethisch und empathisch unhaltbar erkennt. Darin sehe ich inzwischen die große Aufgabe der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt: Menschen wie mir, die sich vielleicht zunächst einmal nur Sorgen um ihre Gesundheit machten, diesen Gewissenspfeiler mitzugeben in ihr Denken und Handeln: Alles Lebendige hat ein Recht auf Freiheit und Unversehrtheit! Meine eigene Umgehensweise mit den Tieren und irgendwie auch mit anderen Menschen hat sich jedenfalls in den letzten Jahren deutlich verändert — und die ASS hat mit ihren Impulsen nicht wenig dazu beigetragen.

Jonathan Safran Foer zufolge leben in den USA bereits 18 % der Studenten vegetarisch. Siehst du aus deiner Erfahrung mit dem universitären Umfeld heraus in Deutschland einen ähnlichen Trend und wie äußerst sich dieser? Manifestiert er sich auch in der Forderung nach mehr pflanzlichen Alternativen bei der Essensverpflegung in den Mensen und wird dieser Forderung entsprochen?

In den Mensen hat sich eine Menge getan — wenn man beispielsweise auf den Wochenplan der Mensen an der Uni Köln schaut, fällt schon auf, dass inzwischen mindestens die Hälfte der Angebote vegetarisch und vegan sind.

Hast du den Eindruck, dass die Themen Tierschutz, Tierrecht oder vegane Lebensweise an den Universitäten und Hochschulen noch stärker etabliert werden müssen? Und wenn ja, welche konkreten Möglichkeiten dafür siehst du?

Prof. Dr. Martin Gertler 2Konkrete Möglichkeiten könnten dort gegeben sein, wo diese Themen mehr Eingang finden in der Lehre, vor allem aber auch in der Forschung; dies scheint aber noch nicht der Fall zu sein. Was ich angesichts von derzeit weit mehr als einer Million vegan lebenden Menschen in Deutschland wirklich nicht verstehe, ist das Nichtvorkommen dieser veganistischen Gesamtsicht in unserer akademischen Welt. Es gibt erstaunlicherweise in Deutschland und meines Wissens auch international noch keinen einzigen klar auf die Pfeiler des Veganismus setzenden Studiengang — dabei reichen allein schon diese zusammengenommen für weit mehr als nur ein einziges Studienprogramm: die volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Perspektiven einer Veganwirtschaft bzw. Veganomics, wie ich das nenne; die gesundheitlichen und gesundheitswirtschaftlichen Aspekte; die Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen; die Herausforderungen eines bioveganen Anbaus — also die landwirtschaftlichen Dimensionen — sowie die ethisch-moralischen und weltanschaulichen Themen. Dabei ist doch zu beobachten, dass nicht nur die Biobranche, sondern auch die Veganbranche mit ihren vielfältigen und ständig erweiterten Angeboten in der Ernährung, der Dienstleistung und des Handels, von Nahrungsmitteln über Fast Food und veganen Getränken bis zu veganer, also tierleidfreier Kleidung und Raumausstattung, kontinuierlich jährlich zweistellige Zuwachsraten verzeichnet — seit Jahren. Auch unsere Medien berichten immer mehr und immer tiefer über all die gerade angeführten Dimensionen des Veganismus, stets am konkreten Beispiel orientiert natürlich. Journalisten mit dem Gespür fürs Ganze sehen die Zusammenhänge und greifen daher immer mehr die veganen Themen auf, weil sich daraus halt mehr erschließen und übergreifend berichten lässt. Hoffentlich dauert es nur noch kurze Zeit, bis jemand die hervorragenden Chancen für Hochschulen erkennt, hier forschend, vertiefend und bildend neue Angebote zu schaffen.

Und zum Schluss: Verrate uns doch bitte dein Lieblingsgericht.

Auf diese Frage kann ich wirklich keine Antwort geben, denn seit meinem Umstieg auf die rein pflanzliche Ernährung gab es bereits mehr »Lieblingsgerichte« als in all den Jahrzehnten zuvor. Klar ist für mich jedenfalls, dass ein Essen vielfältig sein muss — also stets mehrere unterschiedliche Bestandteile zusammenbringt, und zwar wirklich mehr als in der Durchschnittsküche üblich. Ich liebe Brunches, z. B. im Viasko in Berlin oder im ecco in Köln — denn dort kommen Vielfalt und Selbstbestimmung bei der Auswahl der Möglichkeiten zusammen — und das ist für mich das Tolle an der veganen Ernährung: Sie ist deutlich vielfältiger als jene »von gestern«.

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