Vom Milchbauern zum Lebenshofbetreiber

Butenland 1Jan Gerdes war früher Milchbauer. Heute betreibt er zusammen mit Karin Mück das Kuhaltersheim »Hof Butenland«, einen Lebenshof nicht nur für Kühe. In zahlreichen berührenden Videos von den Bewohnern ihres Hofes zeigen die beiden leidenschaftlichen Tierschützer das reiche Gefühlsleben und die vielfältigen Charaktereigenschaften der sogenannten »Nutztiere« und machen deutlich, wie friedlich Menschen und andere Tiere miteinander leben können.

Jan, wie kam es zu dieser nicht gerade typischen Entwicklung vom Milchbauern zum veganen Lebenshofbetreiber?

Also geplant war das ja nicht, aber es hat sich ergeben, weil ich irgendwann nicht mehr verdrängen konnte, was ich diesen Tieren angetan habe. Ich bin ja mit denen aufgewachsen und Kühe fand ich schon immer toll, die sind trotz ihrer Größe ja so sanft und vorsichtig. Ich war hier im Landkreis der erste, der auf Demeter-Landwirtschaft umgestellt hat und hab dann eine Weile so rumprobiert — größere Fenster in den Stall, Anbindehaltung weg, dann auch die Kälber länger bei den Müttern gelassen… Aber das hat eigentlich alles nur noch schlimmer gemacht, weil man merkt, man kann die Tiere nicht wirklich artgerecht halten und noch Geld dabei verdienen. Auch eine Bio-Milchkuh muss ja in erster Linie Leistung bringen. Und weil ich das dann alles so nicht mehr wollte, entstand die Idee des Kuhaltersheims. Von meiner Herde waren noch zehn Tiere übrig, und die sollten jetzt ein richtig gutes Leben haben, ohne irgendwelche Leistungskurven. Dass ich dann selbst auch keinen Käse und keine Milch mehr konsumieren wollte, war ganz logisch für mich. Und man macht sich halt auch immer mehr Gedanken, Lederschuhe will man dann zum Beispiel auch nicht mehr.

Was für Tiere leben bei euch auf dem Hof?

Jan: Zunächst mal sind da natürlich die Rinder; im Moment haben wir hier 36, ein paar davon sind noch aus dem Bestand von damals; die »Neuen« stammen zum Großteil aus der Milchproduktion und sollten geschlachtet werden. Eine Kuh, Manuela, kommt aus einem Tierversuch, wo Untersuchungen zu Hochleistungsfutter gemacht worden sind.
Daneben gibt es hier noch Schweine, Enten, Gänse, Kaninchen, Hunde, Katzen, Pferde und Hühner.

Wie sieht euer typischer Arbeitstag aus?

Jan: Wir fangen hier so um acht, halb neun an, bereiten Frühstück für die Tiere vor und gehen dann auf Fütterungsrunde. Die Schweine kennen ihre Zeiten ganz genau und beschweren sich auch sofort, wenn das Essen zu spät kommt.
Dann müssen jeden Tag die Ställe saubergemacht und auch Futter muss nachgefüllt werden (Heu und Wasser für Rinder und Pferde).
Mit den Hunden geht es zum Spaziergang auf die Weide, hier kontrollieren wir auch die Zäune und vor allem zählen wir mehrmals täglich unsere Rinder, denn es ist schon mal passiert, dass unsere etwas verträumte Käthe in den Wassergraben gefallen ist… Und ob jemand schlecht läuft oder komisch atmet, merkt man eben nur, wenn man oft mit den Tieren Zeit verbringt und sie genau beobachtet. Wir haben hier auch viele chronische Krankheitsfälle.
Zwischendurch kümmert Karin sich auch noch um Facebook und stellt dort Bilder und Videos von unserem Alltag ein.
Nach der Mittagspause geht’s weiter mit den Hühnern. Wir schauen auch hier täglich, ob es Auffälligkeiten gibt, jemand komisch läuft oder nicht fressen will.
Am späten Nachmittag geht es dann noch einmal auf die Weide, manchmal begleiten uns dabei auch Gäste. Wichtig ist, dass niemand einfach so auf die Weiden läuft, denn Rinder können auch gefährlich sein, wenn man sie nicht kennt und ihre Körpersprache nicht richtig versteht.
Abends erledigen Karin und ich noch die Buchhaltung, Mail-Anfragen, Buch- und Kalenderversand… Das geht meistens auch bis nach Mitternacht.

Jan, wie es bei dir dazu kam, dass du dich vegan ernährst, haben wir gelesen, wie war es bei dir, Karin?

Karin: Das hat eigentlich schon ganz früh angefangen, als Kind hab‘ ich gesagt, ich will kein Fleisch mehr essen, weil mir die Tiere leid getan haben. Später hab ich dann TierbefreierInnen kennengelernt und auch bei Befreiungsaktionen mitgemacht. Ich hatte auch schon lange selbst Hunde aus dem Tierschutz, die sonst getötet worden wären. Aber das ganze Ausmaß und die Perfektion dieses Ausbeutungssystems, das ist mir erst später klar geworden und dann war es ganz logisch, da kann ich nicht mehr mitmachen, dagegen muss ich was tun.

Was esst ihr typischerweise bei eurer harten Arbeit?

Karin: Abwechslungsreich. Man denkt ja gar nicht, was es alles an Geschmack gibt, wenn man bis dahin nur das normale Durchschnitts-»Omni«-Essen kannte. Morgens natürlich ein ordentliches Frühstück. Jan mag keine Marmelade, also gibt’s aufs Brot außerdem veganen Aufstrich, mal selbstgemacht, mal aus‘m Laden. Mittags koche ich immer — nie nach Rezept, höchstens als Anregung. Man kann da sehr kreativ sein und ich kombiniere dann gerne Obst und Gemüse. Zum Sättigen gibt’s alle Sorten von »Körnerfutter« — Reis, Dinkel, Hafer, Buchweizen… Fleischalternativen aus Seitan oder Lupinen gibt’s auch mal dazu. Soja- und Tofuprodukte benutze ich ganz selten mal, es geht auch super ohne. Vegan hat absolut nichts mit Verzicht zu tun, das muss man wirklich immer wieder betonen.

Was haben denn eure Nachbarn und die anderen Bauern zu eurem Hof gesagt? Gab es Anfeindungen und Stereotypen oder eher Bewunderung?

Jan: Sicher, es gibt auch Neid und Missgunst. Da geht einer hin und macht ein Kuhaltersheim auf — in einem Landstrich, wo’s nur Milchviehbetriebe gibt. Wir halten unsern Nachbarn ja sozusagen einen Spiegel vor: »Guck, wir haben das auch mal so gemacht wie du, aber das war falsch.« Einige von denen reden auch nicht mehr mit mir, aber damit kann ich leben. Und die fragen sich natürlich, wo kriegen Jan und Karin das Geld für ihre verrückte Idee her. Wenn wir dann einen neuen Stall bauen oder ein neuer Trecker auf dem Hof steht, gibt’s schon neidische Blicke und uns wird vorgeworfen, wir würden von Spendengeldern leben. Dass hier mindestens genau so viel Arbeit wie in einem wirtschaftlich orientierten Betrieb drin steckt, sehen sie nicht — oder wollen es nicht sehen.

Karin: Einer unserer Nachbarn kam neulich aber auch vorbei und hat unser Kochbuch »Multikuhlti und vegan«  gelobt, er findet das eigentlich toll, was wir machen und dass so was funktioniert. Und wir leben ja grade nicht von Spendengeldern — Jan und ich arbeiten hier ehrenamtlich, Jan hat sein gesamtes Vermögen in die Stiftung gebracht. Wir haben die Ferienwohnungen und Einnahmen aus unserem Windrad und jedes Jahr gibt es einen Wandkalender und dann jetzt zusätzlich noch unser Kochbuch. Wir nehmen nicht einfach, wir machen aktiv etwas.

Was haltet ihr von der in unserer Gesellschaft üblichen Trennung in »Nutztiere« und »Heimtiere«?

Butenland 2Karin: Wir sehen hier ja jeden Tag und dokumentieren das auch, dass es absolut keinen Unterschied zwischen ihnen gibt. Schweine werden genauso gerne am Bauch gekrault wie Hunde und schneiden bei Intelligenztests sogar besser ab. Was nicht heißt, dass Intelligenz ein Kriterium für mehr oder weniger Recht auf Leben sein soll. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass wir Menschen mit dunkler Hautfarbe quasi als »Nutzmenschen« eingeordnet haben, und Frauen haben bei uns noch nicht mal hundert Jahre das Wahlrecht. Aber man kann das überwinden, diese willkürliche Einteilung.

Jan: Es ist halt eine praktische Einteilung für diejenigen, die davon profitieren. Tiere haben aber keinen Zweck, sie müssen nicht nützlich sein, außer für sich selbst. Wir müssen weg von dem Gedanken, dass man Tiere besitzen kann. Das sind Lebewesen, keine Gegenstände.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Karin: Noch viel mehr Kuhaltersheime! Wie Jan eben gesagt hat — Tiere kann man nicht besitzen, Tiere sind keine Maschinen. Das muss sich ändern, dass man Tiere überhaupt kaufen, verkaufen, Familien und Freundschaften auseinanderreißen und Leben zerstören darf. Das ist doch pervers. Von heute auf morgen passiert das nicht, das ist uns auch klar. Aber für die nahe Zukunft können wir uns wirklich vorstellen, dass es immer mehr Tierbauern geben wird, die aus dem System aussteigen wollen, weil das ganze Geschäft ja sowieso dabei ist, an die Wand zu fahren.

Jan: Und denen muss man dann helfen, sie unterstützen und beraten, wie sie anders wirtschaften können. Entweder wie wir als Kuhaltersheim (oder Schweine- oder Hühneraltersheim…), das von der Gesellschaft getragen wird, oder dann eben auch zu gucken, was für einen Boden hab ich hier, was kann ich da anbauen, welche Fruchtfolge ist sinnvoll, wie kann ich vernünftig düngen, reichen meine Flächen und wo sind meine Abnehmer. Oder mach‘ ich was ganz anderes, was weiß ich — einen Erlebnisspielplatz oder sonst was. Es gibt immer Möglichkeiten, man muss es nur wollen.

Und zum Schluss: verratet uns doch bitte noch eure Lieblingsgerichte.

Karin: Ich mag’s gern gut gewürzt und auch mal scharf, mit Ingwer und Chili. Eins meiner Lieblingsessen sind Pakoras — einfach, lecker und leicht abzuwandeln. Unsere Variante davon haben wir auch in unserem oben erwähnten Koch-und-Geschichten-Buch veröffentlicht.

Jan: Karin kocht jeden Tag so gut, da gibt’s eigentlich jeden Tag ein Lieblingsessen.

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