Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst für eine vegane Ernährung oder greifen regelmäßig zu pflanzlichen Alternativen – sei es aus ethischen Gründen, für ihre Gesundheit oder zum Schutz der Umwelt. Dennoch stoßen sie dabei noch immer auf hartnäckige Vorurteile und gesellschaftliche Ablehnung. Eine aktuelle Studie eines Forschungsteams der University of Vaasa in Finnland hat sich nun damit beschäftigt, weshalb Konsument:innen pflanzlicher Fleischalternativen oft so ambivalent wahrgenommen werden – und liefert wertvolle Erkenntnisse, wie diese Hürden zukünftig besser überwunden werden können.
Wie die Studie durchgeführt wurde
Um herauszufinden, weshalb die pflanzenliche Ernährung in der Gesellschaft so stark polarisiert, wendeten die Forscher:innen das sogenannte BIAS-Map-Modell an, das Vorurteile und stereotype Vorstellungen auf Basis emotionaler und sozialer Reaktionen analysiert. Teilnehmer:innen aus Finnland, Großbritannien, Deutschland und Schweden wurden gebeten, ihre Wahrnehmung einer fiktiven Person auf Grundlage ihrer Einkaufsliste zu formulieren.
Dazu wurden drei unterschiedliche Einkaufslisten verwendet, die sich hinsichtlich tierlicher und pflanzlicher Proteinprodukte unterschieden. Allen Listen gemeinsam waren zudem fünf Grundnahrungsmittel (Pasta, Brot, Apfelsaft, Karotten und Bananen), um den eigentlichen Forschungszweck nicht offensichtlich zu machen:
- Ein Warenkorb repräsentierte eine:n typische:n Fleischesser:in (Hackfleisch, Wurstwaren).
- Der zweite Korb stand für eine flexitarische Ernährungsweise (Hühnerfleisch und pflanzenbasierte Würstchen).
- Der dritte Korb beinhaltete ausschließlich pflanzenbasierte Produkte.
Ergebnisse: Anerkennung trifft auf Ablehnung
Die Studie ergab, dass Konsument:innen pflanzenbasierter Fleischalternativen durchaus positive Reaktionen hervorrufen. Sie werden als verantwortungsvolle, gesundheitsbewusste, umweltfreundliche und moralisch handelnde Menschen wahrgenommen und erfahren in gewissen Kreisen auch Anerkennung. Gleichzeitig wird ihr Konsumverhalten genau wegen dieser Aspekte oft als Provokation empfunden: Manche Beobachter:innen fühlen sich allein durch die Kaufhandlung moralisch verurteilt oder unter Druck gesetzt. Dies kann zu starken negativen Emotionen wie Neid, Angst, Verachtung und sogar Wut führen, was wiederum soziale Distanzierung oder sogar offene Aggression zur Folge hat.
Die Forscher:innen stellten außerdem fest, dass Menschen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach sozialem Status besonders sensibel auf eine pflanzliche Ernährung reagieren, da sie die moralische und ökologische Vorbildfunktion von Veganer:innen oder Vegetarier:innen als indirekte Kritik an ihrem eigenen Verhalten empfinden. Menschen mit einem hohen Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit zeigten größere Offenheit gegenüber Flexitarier:innen, da deren Ernährungsweise sozial akzeptabler erscheint und weniger »radikal« mit etablierten Ernährungsgewohnheiten bricht.
Diese ambivalenten Gefühle sehen die Forscher:innen auch als Ursache dafür, dass sich Fleischalternativen trotz der klaren Vorteile nicht stärker durchsetzen. So scheitere die pflanzenbasierte Ernährung meist weniger am Preis als an sozialen Identitätsfragen.
Politische und gesellschaftliche Polarisierung in Deutschland
In Deutschland spiegelt sich diese emotionale Debatte sehr stark in der Politik und Gesellschaft wider, wobei Fakten oft zweitrangig erscheinen. Diskussionen um pflanzliche Ernährung werden häufig hitzig geführt und politisch instrumentalisiert. Vegane Kantinenangebote, CO₂-Abgaben auf Fleisch oder Vorschläge für tierschutzorientierte Agrarreformen sorgen regelmäßig für Kontroversen und spalten die öffentliche Meinung. Kritiker:innen sehen in solchen Maßnahmen oft einen Angriff auf persönliche Freiheiten und Traditionen, während Befürworter:innen auf die Dringlichkeit von Klimaschutz, Gesundheit und Tierschutz verweisen.
Wahrnehmung sozialer Normabweichung abbauen
Die Studie gibt konkrete Hinweise, wie sich die gesellschaftliche Akzeptanz pflanzlicher Ernährung fördern lässt – und dabei liegt die Verantwortung nicht allein bei den Konsument:innen, sondern auch bei Produzent:innen, Organisationen und der Politik:
▸ Soziale Normalität betonen
Menschen, die pflanzliche Fleischalternativen konsumieren, werden häufig als sozial abweichend wahrgenommen. Um diese Wahrnehmung zu entschärfen, sollte eine pflanzenbasierte Ernährung in der öffentlichen Darstellung als alltägliche, »normale« und sozial akzeptierte Option kommuniziert werden – nicht als moralisch überlegen oder »besonders«.
▸ Flexitarier:innen als Brückenbauer:innen
Die Studie zeigt, dass flexible Ernährungsweisen – also Mischformen zwischen tierlichen und pflanzlichen Produkten – auf mehr gesellschaftliche Offenheit stoßen. Flexitarier:innen gelten als anschlussfähig und lösen weniger Widerstand aus. Diese Gruppe kann als »soziale Brücke« dienen, um den Übergang zu pflanzlichen Alternativen niedrigschwellig und integrativ zu gestalten.
▸ Status- und Gruppensensibilität in der Kommunikation beachten
Personen mit hohem Bedürfnis nach sozialem Status oder Zugehörigkeit reagieren besonders sensibel auf moralisierende Untertöne im Ernährungskontext. Entsprechend sollten Kommunikationsstrategien so gestaltet sein, dass sie keine moralische Überlegenheit oder soziale Abgrenzung signalisieren, sondern Anschluss und Gleichwertigkeit betonen.
▸ Positive soziale Identität fördern
Eine nachhaltige Integration pflanzlicher Ernährung gelingt, wenn sich Konsument:innen als Teil einer anerkannten sozialen Gruppe erleben. Das bedeutet: nicht missionieren oder abgrenzen – sondern Zugehörigkeit, Gemeinschaft und soziale Anerkennung vermitteln.
Was bedeutet das für uns alle?
Für Konsument:innen pflanzlicher Produkte und deren Kritiker:innen gleichermaßen zeigt die Studie auf, wie gesellschaftliche Wahrnehmungen entstehen und warum Konflikte auftreten. Es lohnt sich für alle Beteiligten, diese Erkenntnisse aktiv zu nutzen, um gegenseitiges Verständnis zu fördern und Vorurteile abzubauen.
Ein konstruktiver gesellschaftlicher Dialog erfordert auch Sensibilität in der Kommunikation: Wer sich für eine pflanzliche Ernährung entscheidet, sollte auf Augenhöhe kommunizieren und auf moralischen Druck verzichten – nicht aus Rücksichtnahme, sondern um echte Offenheit zu ermöglichen (weitere Tipps dazu hier). Gleichzeitig sind Menschen, die auf vegane Ernährung mit Ablehnung oder gar Aggression reagieren, gefordert, ihre eigenen Emotionen und Reaktionen kritisch zu hinterfragen und die positiven Absichten hinter nachhaltigen Ernährungsweisen anzuerkennen, ohne diese als Angriff zu werten. Nur gemeinsam können wir eine nachhaltigere, gesündere und tierfreundlichere Welt schaffen – und das sollte uns doch allen am Herzen liegen.
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