Besonders Menschen, die sich pflanzlich ernähren, wissen, dass sie auf bestimmte Nährstoffe wie Vitamin B12 oder Omega-3 achten sollten. Ein Nährstoff, der bislang wenig Aufmerksamkeit bekommt, aber eine zentrale Rolle im Körper spielt, ist Cholin.
Was ist Cholin – und warum ist es so wichtig?
Cholin ist ein vitaminähnlicher Nährstoff, der für zahlreiche Funktionen im Körper unerlässlich ist. Er trägt zur Stabilität und Funktion der Zellmembranen bei, insbesondere im Gehirn und im Nervensystem. Dort wird Cholin auch für die Bildung von Acetylcholin benötigt – einem Botenstoff, der die Kommunikation zwischen den Nervenzellen ermöglicht. Diese Funktion ist unter anderem wichtig für Gedächtnis, Konzentration und Muskelsteuerung.
Darüber hinaus unterstützt Cholin die Leber bei der Verarbeitung von Fetten und Cholesterin und spielt eine zentrale Rolle im sogenannten Methylstoffwechsel, einem grundlegenden biochemischen Prozess im Körper.
Ist Cholin ein essenzieller Nährstoff?
Ob Cholin als essenzieller Nährstoff einzustufen ist, wird in der Fachwelt noch nicht einheitlich beurteilt. Der Grund: Die wissenschaftliche Datenlage ist bislang begrenzt, was belastbare, evidenzbasierte Empfehlungen erschwert. Dennoch stufen führende Ernährungsinstitutionen wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die US-amerikanische National Academy of Medicine Cholin als essenziell bzw. bedingt essenziell ein. Zwar kann der Körper den Nährstoff in kleinen Mengen selbst produzieren, diese reichen jedoch nicht aus, um den Bedarf vollständig zu decken – insbesondere in Phasen mit erhöhtem Bedarf wie Schwangerschaft oder Stillzeit.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) stuft Cholin bisher nicht als essenziellen Nährstoff ein.
Wie gut sind Veganer:innen mit Cholin versorgt?
Auch wenn die Datenlage noch lückenhaft ist, ist davon auszugehen, dass eine unzureichende Cholinzufuhr in allen Bevölkerungsgruppen vorkommt – unabhängig von der Ernährungsweise. Studien zeigen allerdings, dass vegan lebende Menschen besonders häufig niedrige Cholinwerte aufweisen und im Durchschnitt weniger als die Hälfte der empfohlenen Tagesmenge erreichen. Aber auch Mischköstler:innen bleiben mit einer durchschnittlichen Zufuhr von 310 mg häufig unterhalb der Richtwerte.
Besonders problematisch ist die Versorgung in der Schwangerschaft: Schwangere Veganerinnen erreichen im Durchschnitt nur etwa 60 % der empfohlenen Zufuhr. Doch auch unter schwangeren Mischköstlerinnen schaffen es nur rund 7 %, den von der EFSA empfohlenen Wert von täglich 480 mg zu erreichen. Dies verdeutlicht, dass eine ausreichende Cholinversorgung in der Schwangerschaft eine allgemeine Herausforderung darstellt.
Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen: Eine Cholinzufuhr unterhalb der empfohlenen Aufnahmemengen bedeutet nicht automatisch, dass ein klinisch relevanter Mangel oder ein gesundheitliches Risiko vorliegt. Bislang ist unklar, ab welchem Wert eine geringe Zufuhr tatsächlich nachteilige Effekte hat – weitere Forschung ist hier dringend nötig. Dennoch sollten insbesondere gefährdete Gruppen wie Schwangere und Stillende auf eine gezielte Versorgung mit cholinreichen Lebensmitteln achten.
Welche Folgen kann ein Cholinmangel haben?
Ein langfristiger Cholinmangel kann vielfältige gesundheitliche Folgen haben – auch wenn klinische Symptome vergleichsweise selten auftreten. Mögliche Auswirkungen sind:
- Leberprobleme, etwa eine nichtalkoholische Fettleber,
- Muskelschwäche,
- neurologische Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Stimmungsschwankungen oder Koordinationsprobleme.
Besonders in der Schwangerschaft ist eine ausreichende Cholinzufuhr wichtig: Es gibt Hinweise darauf, dass ein Mangel das Risiko für Neuralrohrdefekte und Entwicklungsstörungen beim Kind erhöhen kann. Studien legen zudem nahe, dass eine gute Cholinversorgung während Schwangerschaft und Stillzeit die kognitive Entwicklung und Leberfunktion des Kindes positiv beeinflussen kann.
Gleichzeitig ist es wichtig zu wissen: Während eine nichtalkoholische Fettleber (NAFLD) als typisches Anzeichen eines Cholinmangels gilt, zeigen Studien, dass eine pflanzenbasierte Ernährung insgesamt mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung einer Fettleber assoziiert ist. Zudem gibt es erste Hinweise darauf, dass sich Leberenzymwerte bei Menschen mit NAFLD unter einer veganen Ernährung verbessern können. Das zeigt: Der Zusammenhang zwischen Cholinzufuhr, Ernährungsmustern und Lebergesundheit ist komplex – und pauschale Rückschlüsse aus Einzelstudien sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Weitere Forschung ist notwendig, um die langfristigen Auswirkungen einer niedrigen Cholinzufuhr in unterschiedlichen Ernährungsformen besser zu verstehen.
Wie viel Cholin wird empfohlen?
Da es bisher keine belastbaren Daten zur optimalen Cholinzufuhr gibt, haben Ernährungsgesellschaften lediglich »angemessene Aufnahmemengen« (Adequate Intake, AI) festgelegt. Die EFSA empfiehlt:
- Jugendliche und Erwachsene: 400 mg/Tag
- Schwangere: 480 mg/Tag
- Stillende: 520 mg/Tag
- Säuglinge: 160 mg
- Kinder: 140-340 mg/Tag (der Bedarf steigt mit dem Alter)
Pflanzliche Cholinquellen
Auch wenn tierliche Lebensmittel in der Regel mehr Cholin liefern, können folgende pflanzliche Lebensmittel zur Cholinversorgung beitragen. Besonders Hülsenfrüchte, allen voran Sojabohnen, sind gute Cholinlieferanten:
- Sojaprodukte: z. B. Tofu (ca. 27,4 mg/100 g), Sojamilch (23,6 mg/100 g), Sojasoße (33 mg/100 g)
- Hülsenfrüchte: z. B. Sojabohne (115,9 mg/100 g), Linsen (32,7 mg/100 g), Erbsen (27,5 mg/100 g)
- Nüsse & Samen: z. B. Kürbiskerne (63,1 mg/100 g), Cashewnuss (61 mg/100 g), Erdnüsse & Mandeln (je ca. 52 mg/100 g)
- Gemüse: z. B. Shiitake (80 mg/100 g), Brokkoli (40 mg/100 g), Blumenkohl (39 mg/100 g), Rosenkohl (41 mg/100 g)
- Getreide & Pseudogetreide: z. B. Quinoa (70 mg/100 g), Buchweizen (42 mg/100 g), Haferflocken (32 mg/100 g)
Empfehlungen für Veganer:innen
- Gestalten Sie Ihre Ernährung abwechslungsreich und essen Sie cholinreiche pflanzliche Lebensmitteln.
- Achten Sie gezielt auf weitere Nährstoffe, die mit dem Cholinstoffwechsel zusammenhängen: z. B. Methionin (v. a. in Getreide), Betain, Folat und Vitamin B12.
- In der Schwangerschaft und Stillzeit sollte die Cholinzufuhr besonders sorgfältig geplant und überwacht werden. Wenn der Bedarf über die Ernährung nicht gedeckt werden kann, kann eine Supplementierung sinnvoll sein.
- Bluttests zur Bestimmung des Cholinstatus sind derzeit nicht aussagekräftig und werden nicht empfohlen.
- Bei Unsicherheiten kann eine individuelle Beratung durch eine qualifizierte Fachkraft helfen, die tatsächliche Zufuhr zu bewerten und bei Bedarf gezielt zu ergänzen.
Fazit
Cholin ist ein oft vernachlässigter, aber wichtiger Nährstoff, der für die Gesundheit von Gehirn, Leber und Stoffwechsel eine zentrale Rolle spielt. Gerade in der veganen und vegetarischen Ernährung wird er häufig unterschätzt. Obwohl die Datenlage zur Versorgung in Deutschland noch unvollständig ist, deuten erste Studien darauf hin, dass viele Menschen – auch Mischköstler:innen – die empfohlenen Aufnahmemengen nicht erreichen.
Vegan lebende Menschen sollten deshalb gezielt cholinreiche pflanzliche Lebensmittel in ihren Speiseplan integrieren und – insbesondere in sensiblen Lebensphasen wie Schwangerschaft und Stillzeit – eine individuelle Ernährungsberatung und gegebenenfalls eine Supplementierung in Betracht ziehen. Gleichzeitig wird deutlich: Es besteht weiterhin ein erheblicher Forschungsbedarf, um die tatsächliche Bedeutung der Cholinversorgung, sinnvolle Referenzwerte und konkrete gesundheitliche Auswirkungen einer Unterversorgung in verschiedenen Bevölkerungsgruppen fundiert beurteilen zu können.
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