In unserem Interview zu seiner Pilgerreise stellt der Hamburger Fotograf, Koch und Autor Stefano Vicinoadio (36) sich und seine Geschichte vor und erläutert, warum er den Camino de Santiago für die Tiere und den Veganismus laufen möchte. Auf seinem Blog berichtet Stefano regelmäßig über sein »veganes Experiment« und stellt leckere Rezeptkreationen vor. Sein erstes Kochbuch »Cook Wild Vegan« ist im letzten Jahr erschienen.
Vegan Taste Week (VTW): Stefano, wie und warum bist du vegan geworden? Wie lange lebst du schon vegan?
Anfang 2013 wurden bei mir zwei schwere Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule festgestellt, die schon das Rückenmark eindrückten und somit Lähmungen auslösten. Durch eine Operation bin ich knapp am Rollstuhl vorbei gerasselt. Allerdings bin ich durch eine Bandscheibenprothese am Genick behindert und es sah sehr lange so aus, als ob ich meinen Beruf als Fotograf nicht mehr ausüben könnte. Die Ärzte rieten mir zu der Zeit, in Frührente zu gehen.
Zudem war ich zum Zeitpunkt der OP mit 137 kg bei 181 cm Adipositas-Patient der Phase II, war starker Raucher seit 22 Jahren, habe Alkohol getrunken, manchmal bis zu 16 Stunden am Tag gearbeitet und es an den wenigen freien Tagen in meinem Leben noch ziemlich krachen lassen. Zudem habe ich täglich 3-4 Liter Kaffee getrunken.
Kein Wunder, dass mein Körper am Ende war. Da ich schon einige Jahre vegetarisch gelebt hatte, war meine letzte Hoffnung auf ein gesünderes Leben die vegane Ernährung. So stellte ich nach der Reha meine Ernährung Schritt für Schritt um. Es hat also alles aus gesundheitlichen Gründen angefangen, die ethischen Aspekte der veganen Ernährung kamen nach ca. 6 Monaten mehr und mehr dazu. Durch meine wachsende Popularität und dadurch, dass meine Facebook-Seite und mit ihr der Grundstein für meine heutige Karriere wie eine Rakete losging, wurde ich auch mehr und mehr mit der ethischen Seite meines alten Lebens konfrontiert. Heute, nach beinahe zwei Jahren als Veganer, ist ein Zurück ins alte Leben, ein Zurück in alte Ernährungsgewohnheiten nicht mehr denkbar. Veganismus hat mir das Leben gerettet, und ganz nebenbei auch noch hunderten Tieren.
VTW: Im Juni wirst du den Jakobsweg laufen. Was ist deine Motivation dahinter?
Ich habe vor 4-5 Jahren das Buch »Ich bin dann mal weg« von Hape Kerkeling in die Finger bekommen und hatte schon damals den Drang es ihm gleichzutun. Der Gedanke lies mich einfach nicht mehr los.
Damals war es aufgrund meines Gewichtes und meiner körperlichen wie seelischen Verfassung allerdings gar nicht möglich, den Jakobsweg zu laufen. Veganismus in Kombination mit Straight Edge* hat mich, meinen Körper und meinen Geist aber in den letzten zwei Jahren so heilen lassen, dass mein Traum nun endlich realisierbar ist. So gehe ich diesen Weg als einen Abschluss meines veganen Experiments, als »Point of no return« – aber auch für die Tiere. Ich möchte den Veganismus auf den Jakobsweg tragen, Menschen neugierig machen, mit ihnen oder für sie kochen, ihnen meine Geschichte erzählen und auch von eurer Vegan Taste Week berichten. Ich hoffe, dass ich die Menschen ermutigen kann, die vegane Ernährung mal auszuprobieren.
VTW: Wie sieht deine Route aus?
Ich laufe von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich 850 km zu Fuß quer durch Spanien bis nach Santiago de Compostela, und da ich mir ein großzügiges Zeitpolster genommen habe, eventuell nochmal 100 km weiter nach Finesterre, um den Sonnenuntergang am »Ende der Welt« als Abschluss dieser Reise mitzunehmen.
VTW: Was muss man bei der Planung beachten? Welche Schwierigkeiten gab es bei der Vorbereitung? Wie hast du trainiert, um für die lange Wanderung körperlich fit zu sein?
Als allererstes muss man das Ganze wirklich wollen, denke ich. Es ist halt kein kurzer Wanderurlaub. Es gibt viele Leute, die sagen, der Weg habe sie irgendwann gerufen, und so sehe ich das auch. Seitdem ich davon gehört habe, hat mich die Idee, ihn irgendwann selbst zu laufen, nicht mehr losgelassen.
Planen muss man nicht viel. Wenn man den Camini Frances, also den Hauptweg, geht, braucht man nur etwas Geld in der Tasche (über den Daumen 1 € pro km oder 25 – 30 € am Tag), einen Pilgerpass, ein aktuelles Herbergs-Verzeichnis (beides kann man beispielsweise bei den Jakobusfreunden Paderborn online bestellen), einen Pilgerführer, feste Schuhe und einen guten Rucksack mit ein paar Dingen, die man mitnimmt – mein Handy bleibt zuhause.
Einige Schwierigkeiten haben sich gerade im Bezug auf vegane Ausrüstung aufgetan. Die Schuhe und Trecking-Sandalen von LOWA sind zu 100 % aus Kunstgewebe, das war mir sehr wichtig. Auch meine Körperpflege ist vegan und tierversuchsfrei. Meine komplette Kleidung von der Jacke bis zu der Unterwäsche und den Socken ist Funktionswäsche und ohne Wolle oder Seide, mein Schlafsack ist auch ohne Daunen. Das hat mich vor einige Hürden gestellt: Bei vielen Marken sind immer kleine Lederpatches an die Klamotten genäht, besonders im Outdoor-Bereich ist das oft der Fall. Auch Wanderschuhe sind im Normalfall aus Leder. Aber ich habe mich durchgebissen und dank kompetenter Beratung wenig vegane Abstriche machen müssen. Bei Medikamenten ist das Ganze leider immer noch schwierig bis unmöglich.
Ich habe nicht wirklich trainiert. Seit nunmehr sechs Wochen laufe ich bei mir im Alten Land 2 – 3 mal die Woche längere Strecken (um die 10 – 23 km) mit meiner Ausrüstung, um mich an das Gewicht des Rucksacks zu gewöhnen und die Schuhe einzulaufen. Da bekommt man auch einen ersten Vorgeschmack auf das, was einen erwartet und kann sich mental schon mal darauf einstellen.
VTW: Hast du dich im Voraus über die Möglichkeiten der veganen Ernährung auf dem Weg informiert?
Tja, das wird das eigentliche Abenteuer an der Geschichte. Den Jakobsweg laufen ja mehr als 100.000 Menschen im Jahr. Für die sich omnivor ernährenden Pilger stellt die Ernährung durch gut ausgebaute Infrastruktur und Restaurants kein Problem dar. Soweit ich weiß, gibt es in Finesterre, also am Schluss meiner Wanderung, eine Herberge, die auch veganes Essen anbietet.
Ansonsten werde ich mich selbst versorgen, z. B. mit Brot, Öl, Oliven, Tomaten, Obst und Gemüse. In den Herbergen und Pensionen werde ich selbst kochen, wenn möglich. Wenn es hart auf hart kommt, ernähre ich mich 6 Wochen lang roh-vegan und komme 30 Kilo leichter zurück nach Deutschland. Vegetarische Ausnahmen wird es für mich nicht geben.
VTW: Wo wirst du schlafen?
Entlang des Jakobweges sind überall Pilgerherbergen und günstige Pensionen (spanisch: Alberque/Refugio de Pereqrinos) wo man für eine Spende beziehungsweise sehr günstig, aber auch sehr spartanisch unterkommt. Mehr als eine Schlafmöglichkeit, oft in Schlafsälen mit 100 anderen müden Pilgern, ein Gemeinschaftsbad und Verpflegung darf man aber nicht erwarten; veganes Essen schon gar nicht.
VTW: Wird dein Hund Odin dich begleiten? Wenn nicht, pilgerst du allein? Freust du dich über Unterstützung auf deinem Weg?
Odin bleibt leider in Deutschland bei meinem besten Freund, der quasi sein zweites Herrchen ist und bei dem ich weiß, dass es Odin dort an nichts mangeln wird. Er ist mit seinen 15 Jahren zu alt, um so eine Tour zu überstehen. Diese Chance hab ich leider verpasst, wobei sowieso geraten wird, den Weg ohne Hund zu laufen, da Spanien nicht gerade das hundefreundlichste Land ist.
Ich werde allein starten. Ob ich den ganzen Weg über allein bleibe, wird sich zeigen. Wer mich trifft, darf mich sehr gern ansprechen. Ich freue mich über jeden Support und über jedes Gespräch, das sich ergibt.
Wirst du auf deiner Reise Werbung für den Veganismus machen? Wenn ja, wie?
Definitiv, der Weg ist den Tieren und dem Veganismus an sich ja gewidmet und ich will so vielen Menschen wie möglich von meiner Geschichte erzählen, allerdings ohne mich aufzudrängen und ohne zu missionieren. Den erhobenen Zeigefinger gibt es bei mir nicht. Ich überzeuge lieber durch ein großartiges Essen, das ich der Herberge für die Menschen koche, denen ich auf dem Weg begegne.
VTW: Du planst, deine Erfahrungen in einem Buch zusammenzutragen. Wie wirst du deine Pilgerreise dokumentieren? Mit einem Notizbuch, im Kopf oder anders?
Ja, ich möchte ein Buch schreiben, das stimmt. Ich habe ein kleines Tablet mit, allerdings ohne mobiles Internet, mit dem ich Tagebuch führen werde, aber auch Schnappschüsse machen will. Um Sprachaufzeichnungen aufzunehmen, habe ich ein digitales Diktiergerät dabei. Als Profifotograf nehme ich natürlich auch eine gute Kamera mit, mit der ich meine Eindrücke einfangen werde. Die Aufregung steigt…
VTW: Das klingt unheimlich spannend. Wir freuen uns, dich auf deiner Reise mit unseren Facebook-Updates begleiten zu dürfen! Vielen Dank für das Interview und alles Gute für deinen Jakobsweg. Komm gesund und munter wieder zurück!
*Straight Edge bezeichnet eine Jugend- bzw. Subkultur, die den Verzicht auf Alkohol, Tabak und andere Drogen beinhaltet. Oft gehört auch vegane Ernährung dazu.
Titelbild © Stefano Vicinoadio
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