Irene und Charly Schillinger gelten in Österreich als Pioniere der veganen Ernährung: Bereits 1998 haben sie ein rund 200 Jahre altes Familiengasthaus auf pflanzliche Küche umgestellt. Mittlerweile haben sich die beiden mit ihrem Restaurant-Konzept, der »Swing Kitchen«, auch außerhalb Österreichs einen Namen gemacht. Das Paar betreibt heute neun Restaurants, darunter zwei in Deutschland.
Im Interview berichtet uns Irene Schillinger von ihrer Leidenschaft für die vegane Küche und die Swing Kitchen. Außerdem haben wir die Gelegenheit genutzt, Irene nach ihren besten Rezepten für den Herbst zu fragen. Cordon Bleu, Bohnensuppe, Tiramisu und mehr sind die perfekten Speisen, wenn es draußen ungemütlich und drinnen umso heimeliger wird!
Irene, wann und wie bist du zur veganen Ernährung gekommen?
Vegetarierin bin ich mit 12 Jahren geworden. Wie viele Mädchen in dem Alter habe ich Pferde geliebt und habe eines Tages mit Schrecken festgestellt, dass manche Menschen diese auch essen. In unseren Breiten haben ja alle Tiere eine festgelegte Rolle zugeschrieben, entweder als Person mit Namen und unverwechselbarem Charakter, oder als namenloser Nahrungsmittelproduzent ohne individuelle Eigenschaften. Verkürzt gesprochen gilt: Tiere haben ihren Platz entweder im Bett oder im Kühlschrank. Nur Pferde und Kaninchen haben diese »Doppelrolle« als geliebtes Haustier und Fleischlieferant inne.
Diese Aufteilung der Tierwelt in zwei Klassen empfand ich als völlig unlogisch, willkürlich und ungerecht – und das ist bis heute so. Daher habe ich damals von einem Tag auf den anderen aufgehört Fleisch zu essen. Dabei mochte ich den Geschmack wirklich gerne.
Als Studentin habe ich mich dann viele Jahre ehrenamtlich in verschiedenen Tierrechts- und Umweltschutz-Organisationen engagiert. Vegan lebe ich nun seit weit über 20 Jahren, das war als ethisch motivierte Tierrechtlerin einfach der zwingend logische nächste Schritt.
Wie hast du deine Leidenschaft für die Gastronomie entdeckt – und wie kam es dann zur Gründung der »Swing Kitchen«?
Gekocht habe ich immer schon gerne. Schon als kleines Kind habe ich meiner großartigen Mama beim Kochen gerne über die Schulter geschaut und immer mithelfen dürfen (aber nie müssen). Es ist so beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit sie es geschafft hat, für uns vier Kinder täglich frisch zu kochen und dabei das Haus, den Garten und das Gewächshaus immer in bester Ordnung zu haben. Als Teenagerin habe ich sie dann manchmal mit einem fertigen Essen für die gesamte Familie überrascht, wenn sie mal später von der Arbeit nach Hause gekommen ist.
Nachdem ich ja bereits mit 12 Jahren Vegetarierin wurde, habe ich nie mit Fleisch gekocht. Mein Traum war es aber immer schon, ein eigenes Restaurant zu haben. Meine durch und durch akademische Familie war darüber nicht gerade begeistert (lacht).
Zum ersten Mal professionell gekocht habe ich im Gasthaus meines Mannes, das seit über 200 Jahren im Familienbesitz ist. Das haben wir zunächst auf vegetarische Küche umgestellt, ab 1998 haben wir dann rein vegan gekocht – großteils Hausmannskost wie Cordon Bleu, Schnitzel und Wildragout. Nach anfänglichem Zögern haben uns die Leute die Türe eingerannt – das war unglaublich!
Die wichtigste Erkenntnis aus unserer gastronomischen Tätigkeit war, dass ein gutes veganes Angebot die Nachfrage danach schafft. Das heißt: Mit einem guten Essen ist es möglich, Menschen direkt an ihrem Herzen zu erreichen. Während die ansonsten übliche Überzeugungsarbeit meist auf massiven Widerstand stößt, erreicht man mit einer gelungenen Speise mehr als mit hundert heiß durchdiskutierten Nächten. Denn ist erst einmal der Beweis gelungen, dass man mit veganer Kost weder verhungert, noch das Leben keinen Spaß mehr macht, sondern im Gegenteil – dass man sehr viel Genuss und Lebensfreude dazu gewinnt – dann ist das Schwierigste bereits geschafft.
Beflügelt vom Erfolg unserer veganen Küche haben wir dann intensiv über eine mögliche Expansion nachgedacht, um den veganen Gedanken noch weiter verbreiten zu können. Uns war klar, dass wir viel schneller wachsen können, wenn wir es schaffen, unser Know-How in ein systemgastronomisches Konzept zu packen.
Mehr als drei Jahre lang haben wir uns intensiv mit der Entwicklung dieses Konzepts auseinandergesetzt und jedes Detail bedacht, geplant, verworfen und wieder neu geplant. Erst als wir damit wirklich fertig waren, haben wir Anfang 2015 unser erstes Swing-Kitchen-Restaurant in Wien eröffnet.
Ich habe gehört, dass auch drei Schweinedamen etwas mit der Gründung der Swing Kitchen zu tun hatten…?
Jeanny, Jaisy und Brigitte (französisch ausgesprochen, benannt nach Brigitte Bardot) waren die drei Schweine, die mein Mann nach dem völlig überraschenden Tod seines Vaters geerbt hat und ohne die alles nicht so gekommen wäre, wie es jetzt ist. Wir nennen sie oft die eigentlichen Gründerinnen von Swing Kitchen (lacht). Sie haben meinen Mann Charly damals im Nu zum Vegetarier gemacht, als er festgestellt hat, dass er sie unmöglich schlachten könnte. Und in der Folge waren sie der Impuls für seine Tierrechts-Aktivitäten: Wir sind uns bei der Störung einer Pelzmodenschau zum ersten Mal begegnet. Und sie haben Charly für mich so interessant gemacht, dass ich ihn näher kennenlernen wollte. Ohne die drei großartigen Schweinedamen gäbe es weder unsere Beziehung noch unsere Swing Kitchen.
Was genau ist das Konzept der Swing Kitchen?
Die Swing Kitchen ist ein durch und durch ethisch motiviertes Projekt, das darauf abzielt, Veganismus durch massentaugliche Speisen und ein niedrigschwelliges Angebot in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. 80 Prozent unserer Gäste sind keine VeganerInnen, das ist das größte Kompliment und die beste Bestätigung, die wir kriegen können. Wir bieten in stylischem Ambiente in fröhlicher Atmosphäre Burger, Wraps, Nuggets, Salate und ausgezeichnet gute Desserts an. Mittlerweile gibt es neun Swing-Kitchen-Restaurants in Österreich, Deutschland und der Schweiz, wir beschäftigen rund 220 großartige Mitarbeiter:innen. Ab nächstem Jahr werden wir noch schneller expandieren, vor allem in der Schweiz und im Westen und Norden Deutschlands. Darauf freuen wir uns schon riesig.
Wie gehst du vor, wenn du ein Rezept entwickelst? Wo lässt du dich inspirieren?
Meist habe ich eine sehr klare Vorstellung davon, was am Ende als Resultat herauskommen soll: zum Beispiel ein veganes Tiramisu, das den Vergleich mit einem »echten« nicht scheuen muss. Ich sehe mir dann die nicht-pflanzlichen Zutaten an und überlege, welche Funktion diese im Rezept haben. So kann ein Ei z.B. als Bindemittel, Emulgator oder Volumengeber enthalten sein. Und je nach Funktion überlege ich mir dann, welches pflanzliche Produkt das mindestens genauso gut kann.
Der Rest ist dann ganz viel Versuch-und-Irrtum… alles immer bestens dokumentiert, damit ich am Ende genau weiß, wie ich eine gelungene Speise wiederholen kann. Eigentlich kommt man sich dabei oft vor wie im Labor (lacht).
Ich sehe es mittlerweile auch als echten Vorteil, dass ich als völlig ungelernte Gastro-Quereinsteigerin oft gar nicht so fixe Denkmuster und Zubereitungsarten im Kopf habe. Ich denke, dass ich auch dadurch, dass ich gar nicht wusste, wie man es »richtig« macht, auf viele neue Ideen gekommen bin.
Jetzt im Herbst ist für viele die Zeit für »Hausmannskost«: Welche Tipps hast du für Menschen, die erst seit kurzer Zeit vegan leben und deftige Speisen vermissen?
Was uns schmeckt und wo wir uns kulinarisch zu Hause fühlen ist im Grunde ein in sehr jungen Jahren erlerntes Verhalten – das ist auch der Grund, weshalb es bei Mama oder Oma immer am besten schmeckt: weil die Speisen dort eben »richtig« zubereitet werden, das heißt so, wie wir es eben beigebracht bekommen haben. Wenn wir nun aber aus gesundheitlichen, ökologischen oder ethischen Gründen unser Essverhalten ändern möchten, fällt uns das oft schwer, besonders dann, wenn wir den Eindruck haben, wir müssen auf irgendetwas verzichten, denn das tut niemand gerne. Also ist es manchmal der beste Weg, liebgewonnene Speisen einfach zu »veganisieren«. Oft ist das sogar ganz einfach möglich.
Wichtig ist vor allem die Textur einer Speise – den Biss möglichst nah am Original zu haben, das ist der schwierigere Teil. Den Geschmack erreicht man am einfachsten mit den ohnehin pflanzlichen Gewürzen, die auch in der Fleischküche Anwendung finden.
Die Lösungen sind oft sehr naheliegend: Ich esse zum Beispiel wahnsinnig gerne Senf – und da bin ich froh, gelegentlich ein veganes Würstchen zum Tunken zu haben. Egal ob beim Grillen oder weihnachtlichen Keksebacken, Essen hat immer sehr viel mit Geselligkeit und Identität zu tun. Mit ein paar kleinen Kniffen gelingt es, diese Brücke zu schlagen, um sowohl dem eigenen Anspruch als auch der Tradition gerecht werden zu können.
Die gute Nachricht ist: vegan zu leben erfordert eine einmalige Umstellung, verbunden mit einem einmaligen Aufwand sich neu zu orientieren, was Rezepte, Restaurants, Artikel des täglichen Bedarfs angeht. Zum Glück machen und kaufen wir ja meist die gleichen Sachen, es stellt sich also sehr bald ein unkomplizierter Alltag ein.
Was ist dein Lieblingsgericht im Herbst?
Ich liebe deftige Küche und wenn die Tage kürzer und kälter werden, passt eine herzhafter Bohneneintopf einfach ideal. Gebratene Räuchertofu-Stücke geben ein wunderbares Aroma und Chili eine angenehme Schärfe. Genossen mit frischem Brot oder Gebäck ist dies ein einfach zuzubereitendes und gleichzeitig großartiges Gericht im Herbst.
Welche Lebensmittel, Gewürze etc. dürfen deiner Meinung nach in keiner veganen Küche fehlen?
Ich liebe Knoblauch!! Ein Leben ohne Knoblauch ist für mich nur sehr schwer vorstellbar (lacht). Ich koche auch wirklich gerne mit allen Arten von Kohl, Linsen und Bohnen. Räuchertofu und vegane Selchwürstchen (geräucherte Würstchen) lassen sich hervorragend verarbeiten oder mit einem guten Senf gleich aus der Packung essen. Ich denke aber, dass es hier um ganz individuelle Vorlieben geht, die jede:r am besten für sich selbst beantworten kann. Meist sind es eben diese liebgewonnenen Gewohnheiten oder Geschmäcker aus frühen Kindertagen, die uns ein Leben lang begleiten und schöne Assoziationen und Erinnerungen wecken.
Gerade in der veganen Szene gibt es immer wieder Trends bzw. Trendfoods, die plötzlich in aller Munde sind (z.B. Rohkost, Keto, Avocado, Kurkuma etc.). Wie gehst du mit solchen Trends um?
Ich freue mich über jede Vielfalt, die ohne die Ausbeutung von Tieren und Umwelt auskommt. Wenn sich durch gewisse Trends noch mehr Menschen von pflanzlicher Ernährung angezogen fühlen, ist es mir mehr als recht. Problematisch finde ich nur, wenn dadurch der Eindruck entsteht, gesunde, vegane Ernährung wäre unglaublich kompliziert und umständlich, oder wenn Essen dadurch irgendwie zum ständigen Problem wird. Es ist nämlich wirklich nicht schwer, sich auf vegane Art und Weise ausreichend mit allen Nährstoffen zu versorgen. Trendfoods kommen und gehen, von daher messen wir diesen weder als Gastronomen noch privat besondere Bedeutung zu.
Wer Klassiker veganisieren möchte, greift oft zu Alternativprodukten. Gibt es Produkte aus dem Supermarkt, die du besonders empfehlen kannst? Oder ganz unerwartete Alternativen?
Sojagranulat ist ein lange haltbares Produkt, das man sehr vielseitig einsetzen kann. Oft gelingen tolle Klassiker aber mit ganz gewöhnlichen Zutaten, die man ohnehin zu Hause hat, wie z.B. eine luftige, saftige Sachertorte mithilfe von Natron und Essig. Tofuwürstchen im Blätterteig-Schlafrock sind ein schneller Snack, wenn unerwartet Gäste auf Besuch kommen. Es gibt mittlerweile auch eine große Auswahl an veganen Alternativen im Supermarkt, wie z.B. Eiscreme von Ben & Jerry’s, pflanzlichen Fleischkäse von Vegavita und köstlichen veganen Feta von Violife.
Irene, herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit der Swing Kitchen!
Entdecken Sie in unserer Rezeptdatenbank leckere Rezepte von Irene und ihrem Mann Charly:
- Bohnensuppe
- Vegane Fleischstrudelsuppe
- Veganes Hackfleisch
- Cordon Bleu
- Festtagsbraten aus veganem Hack
- Bratensoße
- Sachertorte
- Tiramisu
Mehr Informationen über die Swing Kitchen finden Sie auf Facebook und Instagram.
Entschuldigung, Kommentare zu diesem Artikel sind nicht möglich.